Mensing x Siii3eyes

Wenn man die neun Songs und drei Skits des Albums „No Friends“ von Produzent Keno Mensing und Rapper

siii3eyes (ausgesprochen wie: see three eyes) zum ersten Mal hört, denkt man gleich an die rougheren Stadtteile

New Yorks. Oder an das östliche London, das in den letzten Jahren zum Epizentrum für spannenden Hip-Hop mit

Jazz-Einschlag wurde. Aber obwohl New York und London über Bande gespielt eine kleine Nebenrolle in dieser

Geschichte spielen, ist die erstaunliche Wahrheit eine andere. „No Friends“ ist so etwas wie eine digitale, Albumgewordene

Brieffreundschaft zwischen dem in Hamburg arbeitenden Home-Produzenten Mensing und dem

roughen Talent des gerade in Florida lebenden siii3eyes. Letzterer verbrachte seine Jugend in New York und

wurde dort mit Rap angefixt, erstgenannter hat in einem sehr umtriebigen Part der Londoner Underground-Szene

ein ziemlich gutes Standing.

Aber bevor wir das Kennenlernen der beiden und ihre gemeinsame Arbeit durchleuchten, sollten wir unbedingt

erst einmal Musik anmachen. Und zwar Track Nummer vier, „Night Shift“ , der auch deshalb besonders ist, weil

mit ihm das ganze Album seinen Anfang nahm. Mensing bettet die Vocals hier auf einen melancholischen Beat,

gleitet traurig jazzig in den Song – und dann setzt siii3eyes‘ schneller, dringlicher, direkt unter die Haut

kriechender Rap ein. Mitten im Song definiert er dabei förmlich seine Arbeitsweise: „Scratching notes out bout my

real life / What to say when the air’s tight / What to write when you’re out of mind!“ Und dann, kämpferisch

und niederschmetternd zugleich: „I always wondered what it feel like / not to have a worry / but fuck it, can I?“

An dieser Stelle muss man wissen: siii3eyes stammt gebürtig aus Honduras, kam früh mit seiner Familie nach

Amerika, gilt als Arbeitsmigrant und kämpfte jahrelang um eine offizielle Arbeitserlaubnis. Als er sich Mensings

Demo mit dem Namen „Night Shift“ vornahm – das erste, das dieser ihm geschickt hatte – kam siii3eyes gerade

von der Nachtschicht in einem Amazon-Lager. „Als Keno so um 2022 zum ersten Mal Kontakt mit mir aufnahm,

habe ich eine Weile nicht geantwortet“, erzählt siii3eyes. „Ich musste erst andere Dinge in meinen Leben klären

und hart arbeiten, um überhaupt über die Runden zu kommen. Zu der Zeit hatte ich gerade endlich meine

Arbeitserlaubnis bekommen. Als ich ihm schrieb, habe ich mich erst mal entschuldigt. Die Arbeit in den Amazon-

Lagern hat mich fertig gemacht. Eines Morgens dachte ich mir: ‚Verdammt, ich habe so lange keinen Track mehr

gemacht.‘ Und dann kam mir Kenos Nachricht in den Sinn. Ich habe ihm endlich geantwortet, er hat mir ‚Night

Shift‘ geschickt – und dann ging es los.“

Auch Keno Mensing erinnert sich an diesen Moment: „Ich weiß gar nicht mehr, wieso ich das Instrumental ‚Night

Shift‘ genannt habe. Vermutlich, weil ich selbst die halbe Nacht dran gearbeitet hatte. Es war ein Arbeitstitel. Und

dann kam diese Skizze von ihm wieder – und hat mich voll erwischt.“ Der Grund: „Da ist viel Schmerz in der

Stimme. Das ist zumindest meine Interpretation. ‚Night Shift‘ passte auf einmal perfekt als Titel, weil siii3eyes von

der Nachtschicht kam und völlig fertig war, da er zu der Zeit auch tagsüber hin und wieder jobben musste. Diese

Geschichte ist ja eigentlich ein Liebeslied. Er trauert wem hinterher. Aber dann hört man, wie die all die anderen

Probleme in die Lyrics fließen. Das hat mich hart beeindruckt. Da habe ich auch erstmal gecheckt habe, dass da

eine Lebenssituation hinter steht, die völlig anders ist als meine.“ Über diesen Punkt denke er ständig nach,

gesteht Mensing, vor allem im Zusammenhang mit der Veröffentlichung. Das Album erscheint zuerst vor allem in

Deutschland, ist gefördert von der Initiative Musik, Konzerte in Europa wird es aufgrund von siii3eyes Visa-

Situation nicht geben – ihn scheint zu beschäftigen, ob das irgendwie kulturelle Ausbeutung sei. Eine

Interpretation, die siii3eyes so gar nicht teilt: „Am Ende des Tages muss ich sagen: Die Arbeit mit Keno war das

beste Teamwork, das ich mir vorstellen konnte. Ich dachte erst, es werde schwierig, weil die Entfernung zwischen

uns so groß ist, aber es hat vom ersten Tag an geklickt zwischen uns. Für ihn war es manchmal glaube ich gar

nicht so einfach, weil er neben dem Produzieren auch noch andere Dinge übernehmen musste. Ich habe meine

Texte, meine Gefühle und all den anderen ‚deep stuff‘ in dieses Album fließen lassen – aber ohne Keno, hätte es

nie diese Form gefunden.“

Wie rund diese „Form“ nun klingt und wirkt, zeigt ein Track wie „Always November“, auf dem die Londoner

Sängerin und Harfenistin Rozsa im Chorus zu hören ist: siii3eyes rappt von Einsamkeit und Freunden, die nicht

mehr da sind: „lowkey juss wanna be by myself, where did friends go? nothing needed to say i’m one call away if

you want to talk who was there when we wanted a day off? i rather walk. than to ask you for a mile.“ Rozsa

nimmt mit ihrer warmen Stimme später die erste Line auf: „lowkey juss wanna be by myself “. Mensings Beats

sind wie der Pulsschlag des Songs, reduziert, aber on point, hin und wieder setzen traurige Streicher-Sampler

behutsame Akzente, ohne die Herbst-Melancholie zu überrei.en. Auch „Lost“ ist ein gutes Beispiel für das

perfekte Zusammenspiel von pointierter Produktion, charismatischen Rap-Storytelling und einer unverbrauchten,

aber unfassbar starken Stimme: Hier singt die in Chicago lebende Songwriterin und Sängerin Tally Schwenk –

wieder so ein Talent, das ein viel größere Bühne verdient hätte. Mensing weiß halt: Wenn er zwei Stimmen von

diesem Kaliber in einen Track schickt, braucht es kein Instrumental, das sich in den Vordergrund spielt. Er sagt

dazu: „Ich habe mich auf dem ganzen Album bewusst dazu entschieden, so wenig Layers wie möglich zu

benutzen. Nur Samples und ein paar Plug-ins. Ich mag einfach die minimalistische Herangehensweise vom

Samplen sehr gerne. Die Such nach einem simplen Loop, der für mich so gut funktioniert, so dass man nichts

anderes mehr braucht und sich die Stimmung über einen ganzen Song trägt.“

Kurz mal auf die Stopp-Taste gedrückt – und zurückgespult. Um zu erklären, wie Keno Mensing arbeitet und

warum er vor allem in der Londoner Underground-Szene ein kredibles Standing hat (über die er schließlich auch

auf siii3eyes entdeckte), müssen wir einen Blick auf seine bisherigen Releases werfen. Seine ersten Beats baute

er als junger Mann für die Band Luc von Mensing, die er mit einem Freund aus seiner Heimatstadt Oldenburg

gründete. Melancholischer, deutschsprachiger Rap war das – ziemlich gut beizeiten, wie man auf dem Mini-Album

„Aus Liebe“ hören kann. Als man sich nach einem kleinen Höhenflug, der bis auf die Bühne des Deichbrand

Festivals führte, trennte, war Keno angefixt und bastelte weiter an Beats und Songs. „Ich habe so ein bisschen

aus der Verzweiflung raus weitergemacht. Weil ich Bock hatte und auch nicht so richtig wusste, wohin mit den

Beats, habe ich dann welche bei Soundcloud hochgeladen.“ Ein paar Jahre lang habe das nur sein Freundeskreis

hin und wieder gehört, aber dann meldete sich eines Tages der Londoner Musiker Tee Peters. „Wir haben dann

den ersten Song gemacht und das hat krass geklickt.“ Es folgten dutzende weitere. „Über ihn bin ich ein bisschen

in diese London Underground-Szene reingekommen und habe dann viele Songs für Rapper:innen aus London

produziert. Da habe ich gemerkt, dass ich keine Lust habe, einfach Beats zu machen und in den Äther zu

schicken – also Beat-CDs oder -Pakete anzubieten und nur zu schauen, wer was pickt. Ich mag es, die

Künstler:innen kennenzulernen und auf deren Style hin zu versuchen, Beats zu schreiben.“ Er suche dabei den

Spagat zwischen eigener Handschrift und dem Style der Rapper:innen, der immer in seinem Fokus stehe. 2021

hat Mensing dann zum ersten Mal eine „eigene“ EP namens „Tesselate“ veröffentlicht und ausgewählte Londoner

Artists an Bord geholt: Tee Peters natürlich, Phlocalyst, Thomas Day, Tally Schwenk, Loux. Allesamt Namen, die

man mal checken sollte, denn wie Mensing ganz richtig sagt: „Wenn man in diese sehr kleine Szene reinsticht,

findet man einen Haufen unfassbar talentierte Leute, die eigentlich alle viel größer sein müssten.“ Mensing

arbeitete außerdem viel für das deutsche Underground-Label Besser-Samstag. Seine Musik findet sich deshalb

regelmäßig in großen Playlists wie „Jazz Rap“ oder „Lo-Fi House“, wo sie mit ihrem oft entspannten Groove sehr

gut hinpasst. Mensing selbst sagt, dass er auf diesen Sound gar nicht so sehr über den jazzigen UK- oder US-Rap

gekommen ist, sondern zuerst über einen deutschen Produzenten, der darin seine Wurzeln fand: „Die ersten

Beats, die mich geflasht haben, kamen von Dexter, der natürlich seine Inspiration bei Dilla und Co. fand, aber das

wusste ich anfangs noch nicht. Zu der Zeit war ich begeistert von allem, was beim Kölner Label Melting Pot

rauskam: Twit One, Suff Daddy, all das. Ich fand das Label so cool, dass es sogar ein wenig in meine

Entscheidung eingeflossen ist, in Köln zu studieren. Danach hat mich erst wieder diese Welle aus jazzigem UKRap

so gepackt – alles, was so mit dem ersten Album von Loyle Carner an die Oberflöche gespült wurde.“

Über seine London Connection entdeckte Mensing schließlich auch siii3eyes: „Der Produzent flamingo zamperoni,

den ich sehr schätze, hat 2021 eine EP mit ihm gemacht: ‚east end poet‘. Die fand ich absolut krass – und ich war

dann total erschrocken, dass siiieyes kaum Hörer:innen hatte.“ Angeschrieben hat er ihn trotzdem – oder

vielleicht gerade deshalb. Mit bekanntem Ausgang.

Ein Sprung über den Atlantik: In ein Apartment in Miami, aus dem siiieyes mit uns zoomt. „Meine ersten

Freestyles habe ich gemacht, als ich 13 war“, erzählt er. Mit seinem Kumpel Shane habe er einfach mal

angefangen: „Wir liebten den Wu-Tang Clan und MF Doom, kauften ein kleines Notizbuch, schrieben gemeinsam

darin Lyrics auf – nahmen das erst aber noch gar nicht wirklich ernst.“ Mit 15 kaufte er sich ein altes, wieder

fitgemachtes MacBook und nahm die ersten Stücke auf. Merkte, dass es ihm guttut, die Dinge, die ihn bewegen,

auf diese Weise rauszulassen. Mit 17 kam ihm der Gedanke, die Sache etwas ernster anzugehen. Er suchte und

fand Beats auf YouTube, baute mit der Software GarageBand erste Tracks. „Als ich 20 war, hatte ich eine wirklich

beschissene Zeit. Ich lebte eine Weile im Auto, weil ich mir keine Wohnung leisten konnte, und rappte meine

Tracks in diese alten Kabelkopfhörer vom iPhone.“ In der Pandemie arbeitete er weiter an seinen Rap-Skills,

freestylte täglich, schrieb Lyrics, mailte viele Produzenten an – einige, darunter flamingo zamperoni und später

Mensing, meldeten sich. Das Schreiben und Rappen sei für ihn inzwischen ein wichtiger Teil seines Lebens: „Egal,

was für eine Situation ich gerade durchmache – sobald ich es auf das Papier fließen lasse, fühle ich mich

regelrecht befreit. Es ist dann nicht mehr in meinem Kopf, verstehst du? Ich habe es einmal in Stein gemeißelt –

und wenn daraus ein ganzer Track wird, habe ich etwas draus gemacht, auf dass ich stolz sein kann.“

Auf welchen Song er besonders stolz ist? „Ich würde mir wünschen, dass die Leute immer und immer wieder

‚Diamonds Are Rare‘ hören. Dieser Track trifft meinen Vibe und meinen Struggle, ein besserer Mensch werden zu

wollen, am besten. Aber gute Menschen sind eben selten – wie es Diamanten sind. Wir haben definitiv Besseres

zu tun, als nur in die Welt des Ruhms und des Reichtums zu schauen. Ich finde, der Song hat damit auch einfach

eine gute Message.“ Die Hook singt hier eine ehemalige Kollegin von Keno Mensing – KARLY, die definitiv

häufiger auf Platte singen sollte. Der Beat trifft ganz gut, was Mensing über seinen eigenen Produktionsstyle und

-geschmack sagt: „Ich mochte schon immer Sachen, die irgendwie ein bisschen rumgestolpert sind, aber zugleich

straight in ihrer Art und Weise – dabei aber nicht zu jazzig und nicht zu experimentell. Das konnten Leute wie

Dexter und Apollo Brown immer gut.“

An dieser Stelle sei noch einmal gesagt, das Keno Mensing ein wenig mehr als die Rolle des Produzenten

einnimmt. In gewisser Weise ist er auch so etwas wie der Schlussredakteur von siii3eyes: „Er schreibt Lyrics und

Raps, es ist seine Geschichte, aber die Songs arbeite ich dann sehr intensiv aus. Ich bekomme sehr viele Spuren

von ihm, die manchmal keine klar erkennbare Struktur haben. Ich suche dann die Elemente raus, die ein Chorus

sein könnten, oder ein Verse und stimme sie mit ihm ab. Manche Tracks sind ein ziemlich komplexes Puzzle, auch

wenn man das den Beats und dem finalen Track nicht anhören mag.“

Das lässt sich im Grunde über das komplette Album „No Friends“ sagen: Zwischen den Skits, in denen 3iiieyes mit

seinem ehemaligen Freund und Mitbewohner spricht (mit dem er sich später überworfen hat, was auch den Titel

erklärt), liefern die Mensing und er roughe, unmittelbare Einblicke in das Gefühlsleben eines Mannes, der

geradezu um sein Leben und seine Selbstverwirklichung rappt. Tracks wie „Lost“, „Noir“ mit dem flämischen Jazz-

Trompeter und Produzenten Phlocalylist und Gandalf in Blue Jenans (hinter dem originellen Namen verbirgt sich

das frisch getaufte Musiker-Alter-Ego des Musikjournalistenkollegen Manuel Berger), das Titelstück, „1000 Times“

oder die bereits genannten treffen dabei die perfekte Balance aus soulig-jazzigem Storytelling-Rap und einer

lyrischen Eindringlichkeit und Authentizität, die man sonst eher im Straßenrap verortet. Was Mensing aber in

erster Linie mit „No Friends“ erreichen will: „Dass die Leute, diesen spannenden Typen kennenlernen. Und wenn

ich dazu etwas beitragen konnte, hey, umso besser.“

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