Michael Rother & Vittoria Maccabruni
Michael Rother und Vittoria Maccabruni schaffen eine fesselnde Klangwelt, die elektronische Fragmenten mit Rothers Gitarren verbindet, eine ansteckende Vitalität und abstrakte Dramaturgie entfaltet. Ihre Musik, geprägt von Gegensätzen, erzeugt eine einzigartige Intensität und macht vor allem glücklich.
Im Juni 2020 packt Michael Rother seine sieben Sachen, darunter eine Auswahl seiner liebsten Instrumente und Effekte, um sich mit vollbeladenem Kofferraum von Bevern-Forst aus, wo er seit 1973 auf einem alten Hof lebt und ein halbes Jahrhundert lang mal Solo, mal mit Wegbegleitern (Hans Joachim Roedelius, Dieter Moebius, Brian Eno et al.) folgenreich an den großen Kapiteln der Musikgeschichte schreibt, auf eine Reise zu machen. Das Ziel der zweitägigen Autofahrt ist Pisa. Kein Urlaub. Rother wird in Italien bleiben, wird dort mit Vittoria Maccabruni, einer italienischen Musikenthusiastin, zusammenleben. Die Wege der beiden Musiker kreuzen sich bereits 2005, als Rother mit seinem Freund Moebius auf Italientour ist. 15 Jahre später, nun auch privat ein Paar, gehen sie musikalisch eine bemerkenswerte Partnerschaft ein, bringen in As Long As The Light gänzlich unverkopft scharfe Gegensätze aufeinander, fordern, vermengen und ergänzen sich. Im musikalischen Dialog finden sie zu ungeahnten Formen. Die Klangwelten, die sie kreieren, sind geprägt von diesen neuen Perspektiven. Etwas Einzigartiges entsteht.
Doch gehen wir einen Schritt zurück. Im Sommer, zeigt Vittoria Maccabruni, als Musikerin der Öffentlichkeit bis dato noch völlig unbekannt, dem legendären Gitarristen eines Tages die bits and pieces, an denen sie lange schon im stillen Kämmerlein arbeitet, findet von ihm begeisterten Zuspruch und Ermutigung. Als sich Lebens- und Arbeitsraum dann in Pisa vereinen, wächst der Austausch der beiden zu einem gemeinsamen Projekt. Auf Grundlage von Maccabrunis umfangreichem Material entwickeln sie eine gemeinsame Vision – frei nach Conny Planks Motto »Grabbing the good parts and showing them in the best possible way«. Das Duo geht in Revision, wählt aus, schleift und feilt, um aus den oft kantigen und ungezähmten elektronischen Fragmenten Maccabrunis dann im Zusammenspiel mit Rothers strukturierenden Konzepten und wellenartig-fließenden Gitarren einige weitläufig mäandernde Stücke zu entwickeln. Im Resultat dieser Zusammenarbeit manifestiert sich unter dem Titel As Long As The Light eine unverbrauchte Spielfreude in acht Songs, die auch im Hinblick auf Rothers breites, nun schon ein halbes Jahrhundert umspannendes Werk neue Wege geht. Überall pluckert und knackt es, scharfkantig, mechanisch und nicht selten bedrohlich – um sich gleich im nächsten Moment wieder mit den unverkennbaren Harmonien zu verbinden, sich diesen anzunähern, von ihnen umhüllt zu werden oder auf ihnen zu tanzen. Vittoria Maccabruni erzeugt mit ihren Klangkonstruktionen dabei überwiegend dunkle Stimmungen, die dann im Song mit Michael Rothers Melodien und Gitarrenharmonien ein wechselseitiges Gefühlsspiel erzeugen. Wärme zieht ein. Die acht Stücke folgen einer hohen kompositorischen Komplexität, setzen sich aus unzähligen Schichten zusammen, die sich überlagern, anstoßen, aufwirbeln. Jede dieser Schichten bringt ein eigenes, intensives Gefühl mit sich – so zeigt sich das musikalische Debut des Duos Rother/Maccabruni in einer ansteckenden Vitalität und fügt sich zu einer abstrakten Dramaturgie, die viel Raum lässt für Interpretationen, für eigene Bilder und zahllose Geschichten. Reisemusik, vom Aufbrechen und Ankommen, von neuen Horizonten. Oder: Musik für Menschen mit Fantasie.
Wir schließen die Augen und öffnen die Ohren. Es entstehen dynamische Bilder, von mächtigen Gebäuden, Stadt- und Felsenlandschaften, irgendwo zwischen Zukunft und Vergangenheit pendelnd, lichtgeflutet, dann wieder schattig, nicht selten im fließenden Kontrast schwarzer Felder und leuchtender Farben. Deutlich zeigt sich: die Gegensätze, von denen diese abstrakten Klangbilder erzählen, gehören zusammen – ein positives Spannungsfeld, das in den Atmosphären begründet liegt, denen die Italienerin und der Deutsche nachspüren.
Machen wir uns also auf zu einem Spaziergang durch das Album: Edgy Smiles beginnt mit faszinierenden, leicht dissonanten Synthie-Glocken, findet Luft zum Atmen, reißt hin- und her, verschmilzt zwei musikalische Figuren zu einem neuen Wesen. Exp 1 dann zeigt sich in der Neuerfindung einer Wave-Musik, verbindet eine sich überschlagende Rhythmik mit Momenten, die die visionären Momente des Krautrocks der 1970er Jahre aufrufen. Im dritten Stück, You Look At Me, ist zum ersten Mal Maccabrunis dunkle, sanfte Stimme zu hören, eine Ausnahme, die dem melancholischen Song um so mehr Gewicht gibt und ihn auf die Spur einer verwunschenen Begegnung schickt. Rothers Gitarren zeigen Wiedererkennungswert, bringen eine rote Linie ins Album, auch wenn sie sich niemals in den Vordergrund drängen, immer im aufmerksamen Tanz mit Maccabrunis Klängen bleiben, oder sich, wie im folgenden Curfewed, entzerren, nur als subtile Andeutung daherkommen. See Through bewegt sich klanglich unter Wasser, erhebt sich zu einem clubbigen Soundgewand der 1990er Jahre, setzt ganz auf mantrische Repetition. Forget This, mit Schnipseln von Maccabrunis Stimme versetzt, nimmt sich daraufhin Zeit, watet tastend durch eine schattige Zone, scheint auf der Suche nach Frieden und Stille zu sein, bleibt aber – getrieben von den vokalen cut-ups der Italienerin – unruhig. Codrive Me dann lässt eine atmende Maschine assoziieren, könnte auch der Score eines zuckenden Experimentalfilms oder einer Filmszene im Stile eines David Lynch-Films sein, der von einem Treffen innerer Dämonen erzählt. Der Song ist in der Dramaturgie der Platte das mäandernde Extrem einer für Rother ungewohnten Reflexion der Dunkelheit, findet in seinem tastenden Aufbau auch Hoffnung. Das letzte Stück dann, ein fulminantes, ausuferndes Finale, trägt in bezeichnender Einfachheit den Titel Happy (Slow Burner). Und in diesem Gefühlszustand hinterlässt einen dieses wunderbare Album letztlich auch, obwohl – oder gerade weil – man im Hören eine wahre Achterbahn hinter sich hat. Aber das ist es eben, was gute Musik ausmacht: Sie erzeugt Intensitäten, die etwas mit einem anstellen. Und ja, As Long As The Light macht vor allem glücklich.
–Hendrik Otremba