Michael Rother

Nach den Werkschauen von NEU! und Harmonia erscheinen bei Grönland Records am 22..02.2019 endlich auch Solo-Werke von Michael Rother in einem opulenten Boxset.

Warum dem wohl einflussreichsten E-Gitarristen aus Deutschland ausgerechnet mit seinem 1977 erschienenen Solo-Debüt „Flammende Herzen“ der Durchbruch gelang, bleibt ihm selbst und vielen Musikkennern bis heute ein Rätsel der Pophistorie.

Auch schon auf den Alben seiner Bandprojekte NEU! und Harmonia fanden sich schließlich bereits die unverkennbaren Rother-Klänge und -Melodien auf Gitarre und anderen Instrumenten des 1950 in Hamburg geborenen Musikers.

Zudem waren sowohl die Werke von Harmonia als auch die von NEU! bereits vom Soundvisionär Conny Plank produziert worden.

Aber vielleicht waren dem breiten Publikum NEU! oft zu schroff und ihrer Zeit einfach zu weit voraus. Harmonias Klangwelten und Experimente überforderten das Publikum in der damaligen Zeit erkennbar, auch wenn es nachweislich Harmonia waren, die David Bowie und Brian Eno etwa zum Pop-Meilenstein „Low“ beeinflusst haben.

Aber wie das Leben so spielt – zwischen dem Herausfordern des Glücks und den mitunter beschwerlichen Mühlen der Beharrlichkeit: Mit „Flammende Herzen“ gelang Michael Rother 1977 endlich der verdiente, kommerzielle Durchbruch.

Dies betrifft vor allem Deutschland, wo seine beiden heute kultisch verehrten Bands Jahrzehnte lang wenig Anerkennung fanden. Im Ausland war es absurderweise genau umgekehrt: In England etwa brauchten die Fans viele Jahre, um Rothers Solo-Alben zu entdecken, während speziell die Musik von NEU! von Beginn an dort ihr Publikum fand – Pop-Enthusiasten wie John Peel sei Dank.
Für „Flammende Herzen“ fand sich 1976 typischerweise keine Major-Plattenfirma. Es war das von Günter Körber betriebene Independent-Label Sky Records, das sich traute, in diese einzigartige Musik zu investieren.

„Als ich die ersten Verkaufszahlen hörte, dachte ich: Das wird nichts! Gerade mal 150 Einheiten hatte der Vertrieb in die Läden stellen wollen..“, erinnert sich der nach dem kommerziellen Misserfolg von Harmonia damals nicht gerade erfolgsverwöhnte Rother heute.

Es sollte dann tatsächlich ein Radio-DJ sein, der die Herzen der Nation über Nacht zu entflammen wusste. Ein gewisser Winfrid Trenker brachte in seiner „Radiothek am Donnerstag“ ein zweistündiges Rother-Feature. Nach der Sendung im Westdeutschen Rundfunk soll das Telefon im Sender nicht mehr aufgehört haben zu läuten!

Neben Michael Rother und Conny Plank ist auch Can-Schlagzeuger Jaki Liebezeit auf „Flammende Herzen“ zu hören. Die Basic-Tracks wurden von beiden Musikern gemeinsam eingespielt: „Obwohl Jaki die Stücke überhaupt noch nicht kannte, erfasste er genau, worauf ich hinauswollte. Jaki verband seine herausragende Technik mit grossem Einfühlungsvermögen.“, erinnert er sich.

Michael Rother ist der wohl einzige Musiker auf Erden, der das Glück hatte, mit beiden großen deutschen Schlagzeugern der Siebziger Jahre zusammen spielen zu dürfen: Klaus Dinger und Jaki Liebezeit. Beide waren nicht nur stumpfe Taktgeber, sondern gingen mit ihren ganzen Herzen in der Musik auf und trugen mit ihren Inspirationen zum Gelingen der Aufnahmen bei. Zu unser aller Glück auch so wunderbar in Rothers Musik!

Ein Jahr nach „Flammende Herzen“ erschien beim gleichen Label und in gleicher Besetzung das Album „Sterntaler“. Ein würdiger Nachfolger, der in kommerzieller wie künstlerischer Hinsicht nahtlos an „Flammende Herzen“ anknüpfte und das musikalische Konzept weiter verfeinerte.

Auf dem Cover von „Sterntaler“ sieht man die ikonographische Silhouetten-Fotografie von Ann Weitz aus dem Jahr 1977, die nun auch die famose Rother-Werkschau schmückt. Die Gestaltung der Box samt der beiden neuen Alben sowie des 36-seitigen Booklets übernahm der Grafiker Walter Schönauer, der mit Rother schon an den Boxsets von NEU! und Harmonia gearbeitet hatte.

Was die Album- und Songtitel angeht, wurde das Publikum vom Künstler oft bewusst auf eine falsche Fährte gelockt. Denn weder ist Michael Rother ein verträumter Romantiker, noch ist er der realitätsferne Fantasy-Freak. Zusammen mit dem befreundeten Werbetexter Jens Harke ersann er Sprachbilder von „Feuerland“ über „Katzenmusik“ bis zur „Fernwärme“- mit denen er seine Instrumentals betitelte und die allesamt mehrere Deutungen zulassen.

Wer Michael Rother heute nach seinen musikalischen Einflüssen fragt, wird erfahren, dass er nach der Beat- und frühen Rock-Sozialisation von den Beatles bis Jimi Hendrix so gut wie überhaupt keine andere Pop-Musik mehr an sich herangelassen hat, um sich möglichst frei von ungewollten Einflüssen ganz auf die Entwicklung einer eigenständigen Musik konzentrieren zu können.

Vor allem war es für ihn aber eine bewusste Entscheidung, sich vom Blues wegzubewegen. Er erkannte früh, dass der Blues – bei aller Wertschätzung – nicht seine kulturelle Wurzel darstellt. Stattdessen fand Michael Rother seine eigene musikalische Sprache: Klassisch, aber keine Klassik, experimentierfreudig, aber nicht der Avantgarde verpflichtet. Rockend wie sphärisch. Rhythmisch versiert – aber kein Jazz, forschend und trotzdem auf den Punkt: Pop-Musik für alle Ewigkeit.

Rother gefallen Bilder der Unendlichkeit. Aber nicht religiös wie in meditativen Mantras, sondern eher im mathematischen Sinne einer langgestreckten Kurve, die irgendwann wieder an ihren Ausgangspunkt zurückkehren muss.

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass Michael Rother sich, nachdem er 1982 den Soundtrack des Films „Liquid Sky“ gehört hatte, in die Möglichkeiten zur Klanggestaltung des Fairlight Musikcomputers verliebte, woraufhin er auf seinen Alben ab „Lust“ (1983) tief in die Welt der Samples und Sequenzen abtauchte.

Es seien oft aber vor allem „seine Anwenderfehler“ gewesen, die in der komplizierten Programmiersprache des Fairlights manchmal zu unerwarteten, besonderen Resultaten geführt haben. Was für ein Glück, dass er alle Fehler für uns aufgenommen hat.

Als Bonus zu den 4 Originalalben „Flammende Herzen“, „Sterntaler“, „Katzenmusik“ und „Fernwärme“ liegt der Werkschau eine Vinyl-Scheibe mit Michael Rother-Soundtracks zu zwei Spielfilmen bei. Die Arbeiten an „Houston“ und „Die Räuber“ empfand der Film-Fan Rother als eine besonders inspirierende Herausforderung, da es darum ging, sich von der Atmosphäre und Emotionalität einzelner Szenen anregen zu lassen und diesen eine stimmige klangliche Ebene hinzuzufügen.

Heutzutage tritt Rother – wie auf einer weiteren Platte im Boxset dokumentiert – vor allem gerne live auf. Zusammen mit seinen Mitmusikern Hans Lampe (Schlagzeug) und Franz Bargmann (Gitarre) bereist er die ganze Welt. Er ist dankbar, dass es heute, anders als in den 1970er Jahren, technische Lösungen gibt, mit denen man auch in kleiner Besetzung eine vielschichtige Musik live aufführen kann.

Lassen es Raum und Zeit zu, tritt er schon mal gerne mit weltberühmten Verehrern seiner Musik auf, etwa mit Paul Weller, Steve Shelley von Sonic Youth oder John Frusciante von den Red Hot Chili Peppers! Bei zwei legendären Konzerten der Peppers in Hamburg bestritt Rother über 30-minütige Zugaben zusammen mit Flea & Co.

Er hat live schon immer die Nähe und unmittelbare Reaktion des Publikums geschätzt, insbesondere wenn er gemeinsam mit seinen Mitmusikern die risikoreiche Ausfahrt der Improvisation genommen hat.

Das Bedürfnis, nochmal ein Studio-Album aufzunehmen, verspürt Michael Rother gerade nicht. Beim Gedanken daran erinnert er sich vor allem an endlose schlaflose Nächte, in denen er halluzinierend im Halbschlaf noch die Regler am Mischpult rauf- und runter bewegte.

Wie gut, dass wir die hier versammelten, vollendeten Werke so einfach wieder und wieder hören können.

 

Maurice Summen

 

 

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