Kat Frankie

Kat Frankie ist eine Zeitreisende. Nicht im Sinne einer nostalgischen Verklärung. Auch nicht im Hinblick auf ihren Sound. Nein, ästhetisch schlägt sich ihr Wandern zwischen Vergangenheit und Zukunft nicht nieder. Es ist mehr die Erhabenheit ihrer Perspektive: Kat Frankie spürt den losen Enden der Geschichte nach, verfolgt sie in die Gegenwart, durchleuchtet an ihnen präzise die politischen Wirren unserer Tage, begreift die Zusammenhänge, die Fortschreibungen der Katastrophen – und richtet so ihren wissenden Blick auf die Zukunft. Die Stimmungen, die ihr in diesem Durchleuchten zukommen, übersetzt sie in Text und Musik. Zeitreisen also mehr im Sinne einer Dichtkunst. Oder: einer Heimsuchung. Ihr neues Album ist somit auch die Arbeit einer gewachsenen Beobachterin, einer einfühlsamen Denkerin, einer wütenden Erzählerin. Vor allem aber: einer großen Songwriterin. Die 43-jährige scheint in ihrem Kunsthandwerk über der Zeit zu stehen, scheint von dort ihren sorgenvollen Blick auf die Verflechtungen des menschlichen Handelns zu richten.

 

Doch genug der Abstraktion. Vor allem nämlich ist Kat Frankie – und das ist hier ganz konkret spürbar – eine Sängerin. Das sagt sie auch selber: »Ich wurde physikalisch gebaut, um zu singen.« Und im Gesang steckt, trotz der sorgenvollen, melancholischen Färbung ihrer Musik, auch ein Wohlgefühl, eine Körperlichkeit. Vielleicht auch – in einem positiven Sinne – eine Ahnung der eigenen Bedeutung als handelndes Wesen. Ohnehin, sie ist süchtig danach. Das Singen mag ihre Art zu leben sein. Mehr denn je fragt sie sich in den neun Stücken auf »Shiny Things« dabei, was Kunst verändern kann. Eine Reflexion, die etwa dafür gesorgt hat, zum ersten Mal in ihrer Laufbahn die Texte abzudrucken, die immer zeitgleich und im Zusammenspiel mit der Musik entstehen. Mehr denn je nämlich sprechen ihre Worte an einem kritischen Zeitgeist mit, fragen nach den Bedingungen unseres Zusammenlebens und nach der eigenen Bedeutung darin. Im Schreibprozess schon ergab sich dabei ein einzigartiges Verhältnis von Schönheit und Traurigkeit, von Lichtfluten und Dunkelheit. »Like walking on broken glass«, sagt sie. Die Musik spendet Hoffnung, die Texte folgen einem sorgenvollen Blick. Doch dahinter steckt keine Programmatik: das Lied selbst zeigt, was es braucht, was es sein kann.

 

Kat Frankies Songs, die sich durchaus einer eigensinnigen Popmusik zuschreiben lassen, sind dabei alle getragen von etwas, das sie erhebt. Schon im titelgebenden Opener »Shiny Things« ist das ganz deutlich erkennbar: In einer stimmgewaltigen, dicht orchestrierten Abhandlung über das untrennbare Verhältnis von Schönheit und Verfall, lässt die seit 2004 in Berlin lebende Australierin Lichtreflexionen von Flächen aufblitzen, die bereits Rost ansetzen, wendet sich feinsinnig den Augenblicken des Dazwischen zu, in denen sich Vergangenheit und Zukunft berühren. Dynamisch geht es weiter, mit einem nach vorne brutzelnden »Spoiled Children«, das im Gewand früher Interpol die Dekadenz weißer Privilegien anprangert. Auch im folgenden »The Sea«, einem Song-gewordenen Angriff auf die menschenfeindliche Arroganz politischer Demagogen, zeigt sich der Fokus auf einen Gitarrensound, hier in Reminiszenz an die späten 90er Jahre, heavy und gleichzeitig äußerst feinsinnig gespielt. »Be Like Water« dann ist konkrete Handlungsanweisung für die revolutionäre Praxis, lässt die Menschen erklingen, die in den Massenprotesten in Honkong in den Jahren 2019/2020 ihre Stimme erhoben. Wie sich Kat Frankies Songwriting dramaturgisch perfektioniert hat, zeigt auch »Riverside«: Der Song folgt einem ungemein treibenden Groove, schaukelt sich hoch, ist irgendwann überall um einen herum, begegnet den Ohren (ach, der Seele!) zart und sanft und mit unsagbarer Intensität. Im fragenden »Natural Resources« dann wird es musikalisch wieder entspannter, um jedoch stimmgewaltig die Ausbeutung von Körpern und Ressourcen anzuklagen, die wir im Kapitalismus erfahren: Ein Wert wird ihnen gegenüber nur eingeräumt, wenn sie Geld bringen. Mit »Wrong« spätestens zeigt sich Kat Frankies Begeisterung für das 1995er Radiohead-Album »The Bends«, wenn die Multi-Instrumentalistin leichtfüßig tänzelnd eine kompositorische Dichte aufführt, wie sie seit dem heimlichen Opus magnum der Briten nur noch selten zu hören war. Betrachtet man die Tiefe, die zwischen all dem entsteht, liefert »Love« (im doppelten Sinne: für das Album und ganz existentiell) dann eine nicht unerhebliche Beruhigung, weiß das balladesque Stück doch, gesungen im Duett mit Fama M’Boup, dass man in all dem nicht allein sein muss. Das Album endet mit »Roadmovie«, das uns der gemächlichen Landung eines Raumschiffes gleich von dieser Traumreise zurück in die Wirklichkeit holt … und dann wieder auch doch nicht: »The dream makes the dreamer, the vision the king / The structure of things undone / Stare at the ceiling, sit on the bed / Waiting for sleep to come« Mit diesen letzten Worten ihres bisher besten Albums lässt Kat Frankie in uns die Sehnsucht entstehen, sich in den Zustand der vergangenen 34 Minuten zurückzuversetzen. Also: repeat!

 

Wenn »Shiny Things« über sich selbst sprechen könnte, würde es vielleicht sagen: Ich bin Musik. Ich bin der Tanz, den die Geister der Vergangenheit zwischen uns aufführen, unsichtbar und doch präsent. Ich bin der sehnsüchtige Klang der Nostalgie nach einer besseren Zukunft, deren Erfüllung schon in der Vergangenheit zerstört wurde. Ich bin die Heimsuchung der Gegenwart. Ich bin Trauer und Hoffnung zugleich. So könnte man Kat Frankies neun Stücke auf »Shiny Things« auch als Protestmusik beschreiben. Als eine Art melancholische Protestmusik jedoch, die eine wenig beachtete Sphäre der Auflehnung ins Spiel bringt: das vielstimmige, feinsinnig orchestrierte Betrauern von etwas, das nicht sein kann und doch in diesem umarmenden Phantomschmerz, der sich vielleicht nur im Song offenbart, existiert. Und da sind sie dann auch schon wieder: die Geister der Revolutionen, die durch dieses Album steigen. Die Menschen werden ihnen nicht entgehen können. Also gilt es, ihnen diese Musik zu widmen. Kat Frankie hat sie dafür geschrieben. Sie sind voller Würde und Schönheit.

 

 

–Hendrik Otremba

 

 

 

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